Das sind die wichtigsten Entwicklungen in Bezug auf Rassismus in Deutschland laut dem „Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor“ (NaDiRa).
Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) hat den „Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor“ ins Leben gerufen. Er soll Entwicklungen und Trends in Bezug auf Rassismus in Deutschland erfassen. Auf der Basis der Pressemitteilung habe ich die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst und kommentiere sie kurz:
Erfahrungen mit Rassismus
Dass 2/3 der Bevölkerung schon mit Rassismus in Berührung gekommen sind, ist zugleich erschreckend hoch und erstaunlich niedrig. Dass sie so hoch ist, weist darauf hin, dass Rassismus in Deutschland extrem weit verbreitet ist, sodass ein Großteil der Bevölkerung ihn schon beobachtet hat. Angesichts einer solchen Verbreitung ist es andererseits erstaunlich, wie viele davon nichts mitbekommen haben wollen.
Die Lösung dieses scheinbaren Widerspruches muss darin bestehen, sich anzusehen, wie weit die Fähigkeit, Rassismus als solchen zu erkennen – oder wahrhaben zu wollen –, verbreitet ist. Interessant ist es hier, diese 2/3 mit der Anteil der Bevölkerung zu vergleichen, der anerkennt, dass es Rassismus in Deutschland gibt bzw. diesen für systemisch verankert hält (siehe unten).
Man kann es drehen, wie man will, aber wenn 22 % der Bevölkerung schon Rassismus am eigenen Leib erlebt haben, ist das viel zu hoch. Deutschland will ein fortschrittliches westliches Land sein. Außerdem muss es sich der Gefahr der Verbreitung von Rassismus in der Gesellschaft aufgrund seiner eigenen rassistischen Geschichte bewusst sein.
Die Frage danach, ob man jemanden kennt, der bereits Rassismus erlebt hat, zielt ebenfalls darauf zu ermessen, wie weit verbreitet das Bewusstsein von durch Rassismus beeinträchtigten Lebensrealitäten ist. Meines Erachtens deutet diese Zahl mit darauf hin, wie abgegrenzt gut die Hälfte der deutschen Bevölkerung von den Menschen lebt, die hierzulande Opfer von Rassismus werden.
45 % einer Bevölkerung sollten nicht bereits Zeuge eines rassistischen Vorfalles geworden sein. Das bedeutet, dass Rassismus zu weit verbreitet ist. Es darf hier auch wieder angenommen werden, dass dieser Anteil gedämpft wird durch die mangelnde Fähigkeit, Rassismus als solchen zu erkennen.
Rassismus als systemisches Problem
Indem wir zu den Aussagen übergehen, welche sich mit der Verankerung von Rassismus in der Gesellschaft befassen, wird dies noch deutlicher: Der Satz „Wir leben in einer rassistischen Gesellschaft“ beschreibt Rassismus als fest und er Gesellschaft verankertes Element – nicht nur als etwas Vorhandenes.
Gefragt wurde hier nach dem Maß der Zustimmung zu dieser Aussage. Möglich waren die Antworten „Stimme“ a) „voll und ganz zu“, b) „eher zu“, c) „eher nicht zu“, d) „überhaupt nicht zu“. Die angegebenen 50 % setzen sich aus den Antworten (a) mit 16,6 % und (b) mit 32,3 % zusammen. (c) 41,8 % sagen „eher nicht“. Ich möchte annehmen, dass sie damit eine gewisse strukturelle Verankerung des Rassismus‘ einräumen. Dass sie ihn Wahrnehmen, steht außer Frage:
Dazu möchte ich gar nicht viel sagen, außer festzuhalten, wie laut das Geschrei derer ist, die zu den übrigen 10 % gehören.
Diese Aussage finde ich entscheidend: Selbstverständlich kann man sich ohne Absicht rassistisch verhalten – in zweierlei Weise möchte ich meinen:
- Wir geben anerzogene Formulierungen oder Meinungen von uns. Diese haben wir als normal erlernt. Wir haben sie nicht so weit hinterfragt, dass wir jenen in ihnen liegenden Rassismus erkannt haben.
- Wir lassen uns und unsere Entscheidungen im Einzelnen oder im Gesamten durch rassistische Vorurteile leiten. Auch diese haben wir erlernt und nicht hinterfragt.
Meiner eigenen Erfahrung nach erfordert es viel Zeit und Übung, das, was in dieser Gesellschaft an Alltagsrassismus vorhanden ist und was wir infolgedessen (teilweise) erlernt haben, als rassistisch zu identifizieren und aus unserem Verhalten und Denken auszumerzen.
Etwas als rassistisch zu beurteilen, bedeutet hier meines Erachtens, den systemischen Charakter von Rassismus bei der Förderung oder Diskriminierung von Individuen oder Gruppen zu erkennen. Anders gesagt wird hier Diskriminierung nichts als Willkür, sondern als System identifiziert.
Ob es insbesondere in Behörden Rassismus gibt, ist relevant, weil diese aus rechtlichen und Anforderungen der Fairness in besonderer Weise aufgefordert sind, Objektiv zu handeln. Tatsächlich bestehen Behörden einfach aus Menschen – und die sind fehlbar.
Die Höhe des Anteils der Bevölkerung, der dieser Aussage zustimmt, sollte uns allerdings zu denken geben: Warum unternehmen wir nicht mehr gegen dieses Problem?
Rassistische Ansichten und ihre Verbreitung
Ja. Hier ist schon das wichtigste Problem: Es gibt keine Menschenrassen. Der Glaube an diesen Unsinn allein bedingt allerdings schon rassistisches Denken und Verhalten. Ursache ist, dass er beinhaltet, dass unterscheidbare Rassen auch unterscheidbare Eigenschaften haben. Auf Basis derer wird dann rassistisch Diskriminiert.
Erinnern wir uns kurz daran, dass die Rassentheorie erfunden wurde, um bestehende rassistische Diskriminierung zu rechtfertigen.
P. S.: Hier schäme ich mich echt, dass ich mich zu meiner Entlastung dazu entschlossen habe, stets dasselbe Hintergrundbild zu verwenden.
Diese Aussage zeigt, wie weit verbreitet eine Selbsttäuschung ist. Das Problem ist, dass systemischer Rassismus weit und tief verankert ist. Er steckt in jedem von uns. Indem ich dieses Problem als eines von Rechtsradikalen von mir schiebe, halte ich mich davon ab, mein eigenes Denken und Verhalten zu reflektieren und zu wachsen.
Zivilcourage gegen Rassismus
Dieses und das folgende Bild habe ich aus einer auf zwei Zahlen basierenden Aussage extrahiert.
Niemand von uns könnte dazulernen, unsere Gesellschaft könnte sich nicht ändern, wenn uns und anderen nicht widersprochen würde.
Sich stark zu machen gegen eine:n Gesprächspartner:in oder gar in ein fremdes Gespräch einzumischen ist indes riskant und äußerst anstrengend. Umso schöner ist es, dass 47 % der Bevölkerung das schon getan haben. Die zweite Zahl, 82 %, habe ich interpoliert; wörtlich hieß es dort: „Mehr als ein weiteres Drittel (35 Prozent) würde dies potenziell tun.“
Mit einer Gesellschaft, aus welcher 47 % Rassismus schon widersprechen und 35 % dies tun würden (insgesamt 82 %) sind wir gut aufgestellt. Hinzu kommt:
70 % sind nicht nur bereit, das Problem anzuerkennen, sondern auch persönlich etwas dagegen zu tun.
Wie bei vielen anderen gesellschaftlichen Veränderungen lässt sich Rassismus nur langsam vertreiben. Dass die Jugend als erstes bereit sind voranzugehen, ist nicht erstaunlich und kein Einzelfall. Je älter jemand ist, desto schwerer wird es sein, die Person von ihren Ansichten abzubringen. Letzten Endes wird entscheidend sein, ob auch die Peer-Group sich verändert.
Insgesamt bedarf es eines breiten gesellschaftlichen Diskurses, der zur Aufklärung über rassistische Strukturen und Haltungen und Verbreitung von Antirassismus beiträgt. Unter dem Strich bleibt es so:
Was du unwissentlich an Rassismen erlernt hast, ist nicht deine Schuld. Was du willentlich an Rassismen weiterträgst, nachdem du darüber aufgeklärt wurdest, schon.
Die vollständige Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung findest du hier.