Das neue BND-Gesetz sieht in der jetzigen Fassung vor, die geheimdienstliche Überwachung ausländischer und insbesondere außereuropäischer Journalisten zu erlauben. Die Pressefreiheit ist in Gefahr! Ein Aufruf.
Ende Juli hat Angela Merkel mit einem knappen Satz das Ende aller Aufarbeitungen des Überwachungsdramas verfügt: „Die Grundrechte unserer Bürger sind umfassend gewahrt.“ Der Kontext war das aktuelle BND-Gesetz, das schlicht erlaubt, was bisher verboten war.
Eine Problemlösung, als würde man per Gesetz Hungernde zu Fastenden erklären und Fasten ist doch gesund.
Bündig fasst Sascha Lobo im Spiegel den fragwürdigen Versuch der Bundesregierung zusammen, die noch fragwürdigeren Geheimdienstmachenschaften des Bundesnachrichtendienstes (BND), welche durch die Snowden-Enthüllungen offenbar geworden waren, zu legalisieren.
Wieder einmal ist es so, dass per Gesetz der Presslufthammer an die bürgerlichen Freiheiten gelegt wird, und keiner sieht hin.
Mir ist klar, dass so etwas wie die Abhörung von Journalisten im Ausland – noch dazu im außereuropäischen Ausland bei vielen eine „was geht mich das an“-Reaktion hervorruft. Deswegen werde ich es hier noch einmal erklären.
Und weil ich weiß, dass das vielleicht langweilig – und, na ja, eben nicht so wichtig – klingt, gebe ich Euch hier erst noch einmal etwas zum Lachen, bevor es ernst wird (auch wenn einem das Lachen im Halse stecken bleibt) und erinnere daran, wie John Oliver in Last Week Tonight die Relevanz des Themas für uns anschaulich machte. Er sagte:
This is the most visible line in the sand for the people. Can they [the NSA] see my dick?
Und wir wollen uns daran erinnern, dass Edward Snowden diese Frage im Interview bezüglich der NSA wiederholt mit „Ja“ beantwortet hat. Das hat nichts mit den Phantasien aus „James Bond“ oder „24“ zu tun. Das ist es, was Geheimdienste machen: In die Privatsphäre der Abgehörten eindringen und alles, alles einsehen.
Geplante BND-Überwachtung ausländischer Journalisten
Zurück zum geplanten BND-Gesetz. Und ich möchte gleich zu Anfang klar stellen, dass das, was da geplant ist, wesentlich schlimmer ist, als dass die Geheimdienste möglicherweise gerade auf ein Bild Eures oder Eures Freundes Penis blicken. Im Folgenden erkläre ich erst, was die Bundesregierung vor hat, und anschließend, warum das unsere bürgerlichen Freiheiten beschneidet und nicht nur diejenigen von Leuten in Syrien oder der Türkei.
Auch bislang hat der BND als deutscher Auslandsgeheimdienst massenweise Menschen im Ausland abgehört. Das G-10-Gesetz (benannt nach Art. 10 GG, welcher das hier verletze Post- und Fernmeldegeheimnis schützt) regelte dabei, dass Berufsgeheimnisträger wie Ärzte, Anwälte und Seelsorger nur unter hohen juristischen Hürden überwacht werden dürfen. Das ist auch notwendig, sonst gelangen Eure Patientenunterlagen vom Urologenbesuch in Thailand schnell in deren Finger. Auch Journalisten sind Berufsgeheimnisträger.
Die zukünftige Massenüberwachung im Ausland schützt Berufsgeheimnisträger jetzt nicht mehr in besonderer Weise. Das betrifft beispielsweise Euren Arztbesuch – und zwar nicht mehr nur in Thailand, sondern auch in Italien. Was Journalisten angeht, bedeutet das, dass alle von ihnen gesammelten Daten und vor allem auch alle Kontaktpersonen der Journalisten damit zu Opfern von Überwachung werden können.
Journalistenüberwachung zerstört die Basis der Demokratie
Das beträfe dann vor allem Informanten und Whistle-Blower sowie natürlich Menschenrechtsorganisationen wie Reporter ohne Grenzen. Warum das die Demokratie gefährdet, möchte ich anhand folgender aufeinander aufbauender Gesichtspunkte zeigen:
- Wir, das Volk, geben in einer Demokratie die Macht in die Hand von Repräsentanten.
- Um zu verhindern, dass diese Repräsentanten diese Macht missbrauchen, haben wir sie geteilt und unterschiedlichen Repräsentanten gegeben.
- Es besteht aber dennoch Gefahr, dass die Macht missbraucht wird, wenn dies im Geheimen geschieht (siehe Snowden-Enthüllungen).
- Deswegen benötigen wir die freie Presse als unabhängige Instanz, welche die Machtinhaber beobachtet und deren Fehlleistungen öffentlich machen.
- Journalisten können diesen gesellschaftlichen Dienst nur leisten, wenn sie das ihrerseits im Geheimen machen können, widrigenfalls wäre es möglich, Veröffentlichungen schon im Vorfeld zu verhindern.
- Dafür braucht die Presse auch Whistle-Blower. Und die dürfen nicht Angst haben müssen, abgehört, enttarnt und zur Verantwortung gezogen werden zu müssen.
- Wenn unsere Repräsentanten in dieser Weise verhindern können, kontrolliert zu werden, ist Machtmissbrauch Tür und Tor geöffnet und die Demokratie in Gefahr.
Die Aufhebung des Abhörungsschutzes für Journalisten setzt das Sägeblatt also direkt an die Meinungs- und Pressefreiheit. Bis die abgesägt werden, ist es dann nicht mehr weit.
Die Überwachung wirkt auf uns zurück
Nun gut. Aber was hat das mit unserer Demokratie zu tun, wenn in Syrien und der Türkei abgehört wird? Eine ganze Menge. Bevor ich das jedoch erkläre, möchte ich eine Gegenfrage stellen: Wie können wir den Zusammenbruch in der Türkei beklagen und gleichzeitig unserem Geheimdienst erlauben, diese Demokratie ebenfalls zu untergraben? Wir wollen doch, dass die Menschen dort und in Syrien in Frieden und Demokratie leben können, oder?
Die Abwendung der Überwachung von Journalisten überall auf der Welt ist wichtig selbst für unsere Demokratie, weil sowohl Geheimdienste, als auch die Presse international zusammenarbeitet. Wir wissen heute, dass der BND mit der National Security Agency (NSA) Daten austauscht. Unter diesem Blickwinkel macht es überhaupt keinen Unterschied, ob nur Ausländer oder auch Inländer überwacht werden.
Und wir wissen auch, dass die wichtigsten Enthüllungen der letzten Jahre – die ganzen Irak-Protokolle, Botschaftsdepechen und die Panama-Papiere – in internationaler Zusammenarbeit erfolgt sind. Snowden wandte sich gleich zu Anfang an den britischen Guardian. Die Wikileaks-Enthüllungen wurden von der New York Post mit betrieben.
Das Problem dabei ist, dass dabei jeweils internationale Kommunikation stattfindet: Der BND könnte den Guardian zwar nur etwas erschwert, die New York Post aber problemlos abhören. Dann hängt unsere Demokratie nur noch daran, wie intensiv die Geheimdienste zusammenarbeiten, und schon versagen die Schutzrechte der Presse. Und dann versagt auch die journalistischen Kontrolle derjenigen, denen wir die Macht stellvertretend übergeben haben.
BND-Gesetz stoppen – Freiheiten sichern
Vielleicht liegt es an der Komplexität dieses Zusammenhangs, jedenfalls findet das Vorhaben der Bundesregierung wenig öffentliche Aufmerksamkeit.
Einige Journalisten- und Menschenrechtsorganisationen haben eine Petition gestartet, um gegen das BND-Gesetz und die drohende Überwachung vorzugehen. Dazu gehören Reporter ohne Grenzen, Anmesty International, pen Deutschland, der Deutsche Journalisten Verband und die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union sowie viele andere.
Wie immer in einer repräsentativen Demokratie können wir nicht viel mehr machen, als eine solche Petition zu unterschreiben.
Hier sollten wir das auf jeden Fall machen, um zu gewährleisten, dass wir und andere auch in Zukunft in den Genuss einer repräsentativen Demokratie mit den bürgerlichen Freiheiten kommen. Ein Genuss übrigens, welchen Deutschland durch die Ratifizierung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen für alle Menschen zu garantieren versprochen hat. Dort heißt es in Artikel 19:
Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.
An Ende des Interviews mit John Oliver sagte Edward Snowden:
If we sacrifice our values because we are afraid, we don’t care about these values very much.
Lasst uns nicht unsere Werte opfern, weil wir zu faul oder zu unsicher sind.
Zur Petition von Reporter ohne Grenzen mit jeder Menge Zusatzinformationen.
Verwendetes Bild: © 2016 Andreas Preuß/pixelio.de.